Tief durchatmen, an etwas Schönes denken, bis zehn zählen: Es gibt zahlreiche Tipps, wie man seine Wut unterdrücken kann. Aber was ist, wenn einen die Gefühle nicht toben, sondern heulen lassen? Ich habe über die Nähe zum Wasser, die Toilette als neuen Place to Be und Ugly-Crys à la Kim Kardashian geschrieben.
Nur Arschlöcher tragen in Gebäuden Sonnenbrillen. Arschlöcher und ich.
Obwohl ich der Meinung bin, dass jeder verwegener aussieht, wenn er eine Sonnenbrille auf hat, ist es nicht mein Bedürfnis, meinen Coolness-Faktor zu steigern, das mich dazu bringt, mir immer mal wieder die Sonnenbrille in Fahrstühlen, auf Rolltreppen oder der U-Bahn aufzusetzen. Es ist meine Unfähigkeit, Dinge nicht an mich heranzulassen, Bemerkungen nicht persönlich zu nehmen und vor allem die Tatsache, dass ich mit steigendem Alter immer näher ans Wasser zu kommen scheine.
Ich will nicht lügen, auch an meinen besten Tagen ist in meinem Kopf eher Gotham City statt Teletubby-Land angesagt, aber sogar in Batmans Heimat herrscht so etwas wie eine fragile Ordnung. Die ist aber hinüber, sobald jemand etwas sagt, was ich als gemein empfinde.
Was genau „gemein“ ist, hängt von einigen Faktoren ab. Okay, ich gebe es zu: Es hängt zu einem nicht zu vernachlässigbaren Teil davon ab, ob ich gerade gegessen habe oder nicht. Man munkelt nämlich, dass das Kofferwort „Hangry“ (aus Hungry und Angry) entstanden ist, als ich mal vergessen hatte, dass Montag ein Feiertag ist und ein verlängertes Wochenende hungrig, aber auch schnaubend und wütend auf dem Boden verbracht habe.
Aber sogar wohlgenährt habe ich Probleme damit, mich von Kritik oder schlimmstenfalls Beleidigungen abzugrenzen. Ein Feedbackgespräch mit meinen Vorgesetzten oder ein betrunkener Pöbler in der U-Bahn: In beiden Fällen kann es passieren, dass ich nicht super cool über den Dingen stehe, sondern plötzlich mittendrin bin im Meer meiner Gefühle.
Ich kann dann nicht klar denken, sondern bin so versunken in dem Gespräch, das stattgefunden hat und in möglichen, schlagfertigen Erwiderungen meinerseits, die aber nicht stattgefunden haben. An guten Tagen kann ich mein Brüten und Wüten herunterschlucken und verstecken und niemand merkt etwas.
An schlechten Tagen bahnt sich aber mein Gefühlsmeer einen Weg nach draußen. Es beginnt mit einem Ziegelstein in meinem Magen, der heiß und kalt gleichzeitig ist und mir buchstäblich Magenschmerzen bereitet. Dann wird es ein dicker Knoten in meinem Hals, der das Schlucken schwer und meine Stimme kehlig macht. Dann sind es nasse Augen. Und wenn ich nicht aufpasse, heule ich einfach los. Und ich rede hier nicht von süßen Tränen, sondern von hässlichem, lautem, rotzigem Heulen, das mich schüttelt und erst aufhört, wenn keine Tränen mehr da sind.
Ich muss wohl nicht dazu sagen, dass in der Arbeit zu heulen für mich etwa so wäre, wie dort nackt aufzutauchen. Und auch in meinem privaten Umfeld will ich es vermeiden, Menschen eine so rohe und unbeherrschte Version von mir zu zeigen. Also habe ich kleine Strategien entwickelt, wie ich nicht einfach losheule.
- Die Toilette ist der Place to Be
Ich versuche nicht auf Toilette zu heulen, weil es 1. ein ziemliches Klischee wäre und 2. man die roten Augen nach dem Weinen nicht ständig mit „Allergien“ erklären kann. Was man aber auf dem WC machen kann, sind Kniebeugen. Keine Ahnung, wann ich damit angefangen habe und keine Ahnung, warum ich es getan habe. Aber es lenkt meinen Kopf und Körper ab, wenn ich zehn Kniebeugen mache. Das Bedürfnis zu weinen wird etwas weniger und ich bin wieder halbwegs gesellschaftsfähig. - Suche dir Verbündete
Ich spreche mit netten Menschen. Das können Kollegen im Büro nebenan sein. Das kann eine Nachricht an eine Freundin sein. Das kann – und wird es wohl hoffentlich ziemlich lange noch – ein Anruf bei meiner Mama sein. Einfach nur kurz erzählen und sagen, was so verflucht beschissen ist und was einen aufregt. Die guten Menschen haben Ratschläge. Die besten hören zu und sagen an den richtigen Stellen „riesiges Arschloch“ und „diese miese Kuh!“. - Aufschauen
Wenn ich unter Menschen bin und nicht rauskomme – nicht mal auf die Toilette – dann schaue ich nach oben und blinzle. Ein Coach in einem Weiterbildungsseminar hatte diesen Tipp und bei mir hat es bisher ganz gut funktioniert. - Lass es raus
Im Normallfall ist das Gefühlsmeer erst dann zu hoch – man merkt, die Wasser-Metaphern versiegen hier nicht – wenn ich eigentlich durchatmen könnte. Wenn ich also der Diskussion, der Kritik oder den Pöbeleien entfliehen könnte und theoretisch nichts mehr zu befürchten hätte. Im Idealfall bin ich dann zu Hause und werde zu einem heulenden Haufen Elend. Im weniger idealen Fall bin ich auf dem Weg nach Hause und dann heißt es abwägen: Ugly-Cry à la Kim Kardashian oder Sonnenbrille in geschlossenen Räumen à la Paris Hilton.
Man könnte natürlich diskutieren, warum ich meine Angegriffenheit überhaupt verstecke. Warum ich meinen Tränen nicht freien Lauf lasse und die Sachen ausdiskutiere. Aber mal angenommen, ich würde auf Kritik wie etwa „Dein Text ist nicht gut geschrieben“ tränenüberströmt mit Argumenten antworten, warum das nicht stimmt. Was würde wohl von dieser Diskussion bleiben? Dass ich recht habe? Oder dass ich geheult habe?
Ich hoffe, dass ich gelassener werde. Dass ich Kritik weniger persönlich und mehr als sachdienlichen Hinweis nehmen kann, wie ich besser werden kann. Dass ich plumpe Beleidigungen an mir abprallen lassen kann.
Aber ein ganz klein wenig hoffe ich auch, dass es irgendwann keine Peinlichkeit mehr ist, wenn man doch mal weint. Spannenderweise habe ich nämlich viele Vorgesetzte brüllen, mit Türen knallen und untergriffig argumentieren sehen. Deshalb ist aber niemandes Karriere in Frage gestellt oder deren Argumentationsbasis auch nur leicht erschüttert worden. Ein paar Tränen an der falschen Stelle haben aber sehr wohl zu Tuscheleien, Zweifel an Qualifikationen und Gesprächen über mangelnde Professionalität geführt.