Warum ich mich nicht um meine Mutter sorge (und sie trotzdem liebe)

Meine Mama und ich

Als ich darüber geschrieben habe, dass ich Angst um meinen Vater habe, kam die Frage auf: „Hast du denn keine Angst um deine Mutter?“. Beim ersten Mal war ich zu perplex für eine gesellschaftlich akzeptable Antwort und habe „Nein, wieso?“ geantwortet. Das klingt so, als würde ich meine Mutter weniger lieben als meinen Vater. Dabei liebe ich meine Mutter, wie ich mich selbst liebe: Immer, aber manchmal zeige ich es schlecht.

Denn ich habe aus demselben Grund keine Angst um meine Mutter, aus dem ich keinen Helm beim Fahrradfahren trage, mal schnell beim schlimmsten Rush-Hour-Verkehr über eine mehrspurige Straße laufe oder generell manchmal Dinge tue, die ich bei anderen Menschen als leichtsinnig bezeichnen würde: weil ich mich selbst nie so ganz in Gefahr sehe.

Keine Sorge, meine Mutter und ich haben kein seltsames, krankhaft enges Verhältnis wie die Gilmore Girls und sind quasi „derselbe Mensch“. Wir sind unabhängige Personen: Wir sind unterschiedlich aufgewachsen, haben verschiedene Berufswege gewählt. Meine Mutter hatte in meinem Alter ein Kind und das zweite war unterwegs. Ich habe eine wirklich beeindruckende Keksdose, die aussieht wie eine Katze.

Dennoch gibt es Gemeinsamkeiten.

Es sind Oberflächlichkeiten. Wir sehen uns ähnlich. Von den störrischen Haaren zu den großen Füßen. Dazwischen Gesichter, die Emotionen nicht mal im Dunkeln verstecken könnten und ein Mund, der selbst dann nicht das Besserwissen lassen könnte, wenn man ihn zunähte.

Es sind auch aber auch tiefliegende Dinge. Dass unsere Grundeinstellung „kritisch“ oder gar „unzufrieden“ zu sein scheint, vor allem, wenn es darum geht, was wir machen und erschaffen. Meine Mutter ist nicht in zweitem Berufsweg Sozialpädagogin geworden, weil sie leicht zufriedenzustellen ist. Pure Verbissenheit und Ehrgeiz prägen ihren (Karriere-)Weg und prägen mich.

Das klingt negativ. Und ich muss gestehen, dass ich mir besonders oft in Streitsituationen, in denen ich überreagiere, denke: Verflucht, ich bin wie meine Mutter. Aber – und das ist ein großes Aber – ich denke nicht nur an meine Mutter, wenn ich wütend bin oder mich mal wieder zu leidenschaftlich in eine Diskussion gestürzt habe.
Wenn ich die schönsten Frauen nennen soll, die mir einfallen, werden es immer dunkelhaarige Frauen mit großen Augen und hohen Wangenknochen sein, die ein wenig ernst, ein wenig streng aussehen.

Wenn ich weine, weil Okja der traurigste Film seit langem ist, oder weil meine Schwestern einen großartigen Witz gemacht haben, dann bin ich dankbar dafür, dass meine Mutter mir nie beigebracht hat – durch Worte oder ihr Verhalten – dass Gefühle einen schwach machen.

Wenn ich Probleme habe, weil ich auf richtig große Fragen keine Antwort habe, frage ich meine Mutter um Rat. Sie sagt immer vernünftige Sachen. Dass sie sich ein (oder eine Million) „Ich hab es doch gesagt“ nicht verkneifen kann, falls ich es doch anders mache und scheitere, ist ein annehmbarer Preis.

Wenn ich morgen eine Million Euro gewinnen würde, wäre der erste Mensch, den ich anriefe, meine Mutter. Denn nur, wenn sie es weiß, nur wenn sie es bestätigt, ist es wahr. Sie ist der Prüfstein meiner Realität, nicht trotz ihres Kritischseins, sondern gerade deshalb.

Bei den Gilmore Girls wäre das der Moment, wo ich zu kitschiger La-la-la-la-Musik sagen würde: „Danke Mama, dass du immer mein Vorbild bist“. Aber so einfach ist es nicht. Meine Mutter ist nicht mein Vorbild. Nicht, weil sie ein schlechter Mensch wäre, sondern weil sie menschlich ist.

Was meine Mutter aber ist, ist mein Leitstern. Ich muss ihr nicht folgen. Aber sie ist mein steter Orientierungspunkt und ohne sie wäre mein Leben schrecklich dunkel.

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